So nutzt Du die Kraft der Natur für Deine Gesundheit - 5 Übungen für weniger Stress und mehr Wohlbefinden

Gepostet von Malte am

Gastbeitrag von Lars Traben

Warum fühlen wir uns weniger gestresst und haben mehr Energie, nachdem wir uns in der Natur aufgehalten haben? Fünf praktische Übungen für mehr Wohlbefinden

Die Menschen haben den größten Teil unserer Menschheitsgeschichte in und mit der Natur gelebt. Erst mit der Sesshaftigkeit haben wir versucht die Natur zu bezwingen und uns dadurch von ihr abgetrennt. Wir haben uns Häuser gebaut, um uns vor den Unbilden der Natur, wie zum Beispiel Sturm, Niederschläge und Gewitter zu schützen. Überall auf der Welt leben die Menschen seit über 2.000 Jahren hauptsächlich in Städten und somit getrennt von der Natur. Wir halten uns seitdem überwiegend in geschlossenen Räumen im urbanen Lebensraum auf. Durch die Digitalisierung in den letzten Jahren starren wir außerdem über zehn Stunden täglich auf irgendwelche Bildschirme. Stress sowie Schlaf- und Aufmerksamkeitsstörungen sind die Folgen.

Nachweislich verringert der Aufenthalt von nur 20 Minuten in der Natur den Stress. Dazu stellen sich viele weitere messbare, positive körperliche Effekte ein: Der Puls und der Blutdruck sinken, die Stresshormone nehmen ab und die Muskeln entspannen sich. Um diese Effekte zu spüren, müssen wir uns einfach nur in der Natur aufhalten. Es ist kein Sport, kein Wandern oder Joggen notwendig. Am besten tritt man mit allen fünf Sinnen in Kontakt mit der Natur. In geschlossenen Räumen, wie zum Beispiel unserer Wohnung, nutzen wir meist nur zwei unserer Sinne. Dies sind überwiegend die Augen und die Ohren. In der Natur sollten wir jedoch alle unsere Sinne nutzen und uns so wieder mit ihr verbinden. Und wenn wir in Verbindung mit der Natur sind, kann sich unser Nervensystem neu einstellen aber auch unser Körper und Geist können sich entspannen.

Doch wie können wir die Natur mit allen Sinnen wahrnehmen? Hier fünf praktische Übungen, die jeder in den Alltag integrieren kann (Diese Übungen bauen aufeinander auf, können aber auch einzeln durchgeführt werden):

1. Ankommen und Erden

Geh hinaus in die Natur und suche Dir eine ruhige Stelle. Es ist dafür egal, ob Du in einen Wald, einen Park oder auf eine Wiese gehst. Ziehe, wenn Du magst, die Schuhe und Socken aus und stelle dich barfuß oder mit Schuhen auf den Boden. Schließe die Augen und nehme wahr, was um Dich herum ist. Um etwas zur Ruhe zu kommen, kann es helfen, dass Du dreimal langsam ein- und wieder ausatmest. Stell Dir vor, dass Du mit Deinen Füßen fest mit dem Boden verbunden bist. Vielleicht hilft es, dass Du dir Wurzeln vorstellst, die aus Deinen Füßen in die Erde wachsen.

2. Hören und Lauschen

Lass die Augen noch geschlossen und höre, was Du in Deiner Umgebung wahrnehmen kannst: Das Singen der Vögel, das Rauschen eines Baches oder auch den Wind, der die Baumwipfel bewegt. Beurteile nicht in Kategorien wie angenehm oder unangenehm. Nimm einfach nur wahr, was gerade ist. Vielleicht kannst Du auch in Deinem Kopf eine Geräusche-Landkarte erstellen. Woher singt der Vogel, ist er nah oder fern?

3. Fühlen und Spüren

Im nächsten Schritt wollen wir uns nun dem Tast- bzw. Fühlsinn zuwenden. Der menschliche Körper ist mit Millionen von Sinneszellen in der Haut ausgestattet, womit wir auch die Natur wahrnehmen können. Öffne für diese Übung nun wieder die Augen. Wenn Du barfuß bist, fühle mit Deinen Füßen den Untergrund. Ist dort eventuell weiches Moos oder Gras, ist der Boden kalt oder warm? Aber auch mit den Händen kannst Du zum Beispiel einen Baum abtasten. Wie fühlt sich die Baumrinde an? Ist sie hart, ist sie glatt oder gefurcht? Wenn es etwas windig ist, kannst Du vielleicht am Körper den Luftzug spüren?

4. Riechen und Beschnuppern

Nach den ganzen Sinneseindrücken aus den vorangegangenen Übungen, kommt nun unsere Nase und damit der Geruchssinn an die Reihe. Schließe nochmal die Augen und nimm den Geruch der Natur wahr. Was kannst Du wahrnehmen? Auch kannst Du Dir Gegenstände vom Boden aufheben und daran schnuppern. Wie riecht ein Blatt, ein Zapfen oder ein Zweig? Bei dieser Übung ist es schön, wenn Du Dich ganz auf das Riechen konzentrierst und nicht nach angenehm/unangenehm klassifizierst.

5. Abschluss und Kraft tanken

Komm nun zum Schluss der Übungen nochmal ganz dort an, wo Du gerade stehst. Schließe die Augen und spüre den Erdboden unter Deinen Füßen. Spüre die Wurzeln aus der ersten Übung, die Dich mit der Erde verbunden haben. Stell Dir nun vor, wie diese Wurzeln langsam wieder zurück in Deine Füße gleiten. Löse damit langsam die Verbindung zur Erde. Atme noch dreimal langsam ein und wieder aus. Stell Dir vor, wie Du dabei die positive Kraft der Natur in Deinen Körper aufnimmst. Öffne anschließend die Augen und verlasse gestärkt mit neuen Eindrücken die Natur und kehre zurück in den urbanen Lebensraum.

Nach diesem kurzen Aufenthalt in der Natur fühlst Du Dich weniger gestresst und hast wieder Energie, um die noch anliegenden Aufgaben des Tages zu bewältigen.


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Ängste? Erläuterungen zu einem aktuellen Gefühl

Gepostet von Malte am

Gastbeitrag von Klaus Eidenschink

Ängste gelten in unsicheren und bedrohlichen Zeiten als normal. Gestern laß ich in einer Zeitung: „Wer jetzt nicht Angst hat, mit dem stimmt was nicht!“. Ich teile das nun so ganz und gar nicht. Daher nehme ich das hier mal zum Anlass, aus psychotherapeutischer und systemtheoretischer Sicht ein paar Anmerkungen zu Ängsten zu machen und wie man mit ihnen gedeihlich umgeht. Coronaängste sind da mit gemeint, aber die Überlegungen gehen darüber hinaus.

Zunächst gilt es den Unterschied zwischen einer Emotion und einem Gefühl zu verstehen. Alle Säugetiere reagieren emotional auf die Welt. Wir nehmen etwas wahr und verarbeiten die Wahrnehmung meist auch emotional. Man sieht den Säbelzahntiger, riecht den kommenden Eissturm, hört den herabfallenden Ast, spürt die scharfe Klinge, schmeckt die verdorbene Frucht und – man reagiert. Meist direkt, spontan , ohne Verarbeitung im Großhirn. Man läuft davon, sucht Unterschlupf, weicht aus, kämpft und geht in seine Kraft. Die emotionale Reaktion führt direkt in die Aktion. Für Angst als Gefühl ist weder Bedarf noch Zeit. Gefühle sind eine Art mit emotionaler Wahrnehmung umzugehen. Sie sind Verarbeitungsschemata, welche uns helfen sollen, die Fülle an Emotionen zu selektieren, zu ordnen, ihnen Bedeutung zu geben, ihre Widersprüchlichkeit zu bearbeiten und sind ein Aspekt der seelischen Selbstorganisation, ähnlich wie Gedanken, wie Wissen, wie Wollen und Wünschen. Gefühle informieren daher nicht über die äußere Welt, sondern informieren einen über die erlernten und abgespeicherten Muster, wie die Welt außen zu deuten ist. Gefühle sind damit immer selbsterzeugt und sie sind ein eigenständiger Verarbeitungsvorgang unser Seele im Umgang mit sich selbst. Gefühle haben ein eigenes Gedächtnis, einen unmittelbaren Zugang zum Selbstausdruck und beeinflussen permanent die Resonanz, die wir von anderen Menschen bekommen. Und – all das ist nur sehr eingeschränkt kognitiv, vernünftig steuerbar. Vernunft hat keine Herrschaft über die Gefühle.

Soweit – in absurder Kürze – eine Theorie der Gefühle. Was bedeutet das nun im Hinblick auf Angstgefühle?


Angst und die eigene Vergangenheit

Jeder Mensch hat Schemata, wann, wie, wie stark, wie oft, wie anhaltend, aus welchem Anlass und mit welchen Folgen Ängste wachgerufen werden. Wie jedes Gefühl macht Angst also mit sich selbst bekannt.

MERKE: Angst informiert mich nicht über die Gefahren der Welt, sondern darüber, was ich gelernt habe, für gefährlich zu halten!

Das ist ein großer Unterschied. Aus diesem Grund ist es gefährlich ungeprüft auf seine Ängste zu hören. Wenn Ängste mich über meine Biographie informieren, dann droht  jedes Verhalten, welches aus den Ängsten heraus motiviert ist, meine Vergangenheit neu in der Gegenwart zu beleben. Das heißt,

  • weil ich gelernt habe, dass die Welt jederzeit gefährliche Überraschungen bereithält, dann bin ich ständig wachsam,
     
  • weil ich gelernt habe, dass ich mit Ängsten allein zurecht kommen muss, ziehe ich mich zurück und komme gar nicht auf die Idee, mich trösten zu lassen
     
  • ​weil ich gelernt habe, dass ich beschämt werde, wenn ich Angst habe, bringe ich immer die geforderte Leistung und strenge mich bis zum Umfallen an.
     
  • weil ich gelernt habe, dass Angst zur Unselbständigkeit führt, flüchte ich mich trotzig in die Übersouveränität und hole mir zu spät oder keine Hilfe,
     
  • weil ich gelernt habe, dass man gegen Bedrohungen nichts machen kann, sind Ängste für mich ein Signal zu kollabieren und aufzugeben,
     
  • ​weil ich gelernt habe, Ängste zu ignorieren, fühle ich mich unverwundbar und schaue auf die ängstlichen Mitmenschen mitleidig herab,
     
  • weil ich gelernt habe, mich für die Ängste anderer zuständig zu fühlen, denke ich für andere eine Zumutung zu sein, wenn ich selbst Angst habe und nehme an, dass sie mich verlassen,
     
  • weil ich gelernt habe, dass man Ängste nicht beruhigen kann, lasse ich mich von Ängsten überschwemmen und werde panisch,
     
  • weil ich gelernt habe, dass wenn ich Ängste habe, andere mich aus der Patsche ziehen, überlasse ich das Gefahrenmanagement anderen. Die werden es schon richten…
     
  • usw. usf.


Ich hoffe, man bekommt beim Lesen einen Eindruck davon, was der Satz meint, dass Ängste ein Verarbeitungsschema aus der Vergangenheit und keine Reaktion auf die Gegenwart sind. Philosophischer formuliert: Ängste haben einen Selbst- und keinen Weltbezug.


Angst und die erwartete Zukunft

Ängste sind besonders heimtückisch, weil im Gedächtnis der Angst abgespeichert ist, was demnächst passieren wird. Sie schreiben also emotional eine erwartete Zukunft fest. Die Annahmen von Ängsten darüber, wie es kommen wird, sind für jeden Menschen, der seine Ängste nicht hinreichend bearbeitet hat, von maximaler innerer Überzeugungskraft.

Man ist sich ganz, ganz sicher. So wird es ausgehen!

Das ist deshalb so fatal, weil dadurch die eigenen Handlungen und Mitteilungen nicht mehr die aktuellen Gegebenheiten behandeln, sondern die Gegenwart, die man früher erlebt hat, zum Maßstab der Aktivitäten wird. Damit schwächt man sich kolossal, in seiner Kompetenz im Hier und Jetzt die passenden Antworten und Reaktionsweisen zu finden. Man ist dann überentspannt, zu hektisch, zu schwach, zu stark, zu schnell, zu langsam, zu kontrolliert, zu ungesteuert, zu lieblos, zu fordernd, zu nachsichtig …

Was dazukommt ist, dass auch der bekannte Mechanismus der Sich-selbst-erfüllenden-Prophezeihung greift und man unbewusst sehr viel tut, um die Wahrscheinlichkeit zu optimieren, dass die eigenen Erwartungen sich bestätigen.


Angst und die Illusion von Kontrolle

Eine spezielle Folge von unbearbeiteten Ängsten ist es, dass man glaubt, mit Handlungen im Außen Kontrolle über die Gefühle im Innen bekommen zu können. Man glaubt dann, dass man ruhiger wird, wenn man zum Arzt geht, wenn man gute Leistung erbringt, die Erwartungen der anderen erfüllt u.ä.m. Gefährlich ist das deshalb, weil es vordergründig zunächst oft funktioniert. Man hat sich die Hände gewaschen und glaubt damit sich nicht angesteckt zu haben. Man hat drei Schlösser abgeschlossen und die Alarmanlage aktiviert und glaubt, sich sicher vor Einbrechern zu fühlen, man hat 2 Millionen am Konto angehäuft und glaubt, für die Zukunft genug zu haben etc.! Leider tritt in den allermeisten Fällen über kurz oder lang der gegenteilige Effekt ein: Man traut den Maßnahmen nicht wirklich, man „braucht“ einen zweiten Arzt, eine zusätzliche Überwachungskamera, eine weitere Million usw. Da die Ängste ein Binnenphänomen der Psyche sind, nutzen Maßnahmen in der äußeren Welt wenig bzw. sie nutzen sich sehr schnell ab. Dazu kommt, dass man meist den Eindruck nicht los wird,

  • dass man etwas übersehen hat,
     
  • dass es zu wenig oder zu viel oder das Falsche ist,
     
  • dass es nicht verlässlich ist oder
     
  • dass man es wiederholen müsste.


Daraus folgt:

Ängste über Kontrolle zu bearbeiten, ist meist eine besonders heimtückische Weise um sie paradoxerweise lebendig, wirksam und dauerhaft in sich zu verankern.


Angst braucht eine Lösung im Innen

Was ist statt dessen hilfreich? Man muss hier zwischen Maßnahmen unterscheiden, die man alleine für sich versuchen kann und denen, die mit professioneller Unterstützung einhergehen.

Für sich selbst ist das Wichtigste, dass man die Ängste weder abwertet und wegmachen will, noch sich von ihnen dominieren und leiten lässt bzw. man andere Menschen dafür einspannt, sich andauernd mit diesen Gefühlen zu beschäftigen. Wer also nie, dauernd oder abwertend mit eigenen Ängsten beschäftigt ist, weiß, dass er bislang keinen guten Weg gefunden hat, mit ihnen umzugehen.

Es geht darum, dass man zunächst einen Weg sucht, sich von den ängstlichen Seiten innerlich distanzieren zu können. Einfach gesprochen – kann ich innerlich eine Art Beobachterposition einnehmen und betrachten, wie ich Angst habe? Diese Position ermöglicht es, zu sagen: „Ah, da reagiere ich mit Angst! Was lehrt mich das über meine Geschichte? Was braucht diese ängstliche Seite möglicherweise von mir? Was könnte sie mir darüber wohl erzählen wollen, was sie erlebt hat? Was weiß sie vielleicht darüber, was sie von wichtigen Figuren des eigenen Lebens über Ängste gelernt hat?“

Schritt zwei wäre dann, in einen inneren Dialog mit den Ängsten zu kommen und zu lernen sich diesen positiv zuzuwenden, statt zu versuchen, sie in Schach zu halten, zu verbergen oder zu ignorieren.

Schritt drei besteht darin, dass man (auf der Seite der Angst) diese innere Zuwendung an sich heranlässt und erforscht, was es für Auswirkungen hat, wenn einem etwas entgegengebracht wird, was man real nie im Leben erlebt hat.

Professionelle Unterstützung braucht man schlicht und ergreifend dann, wenn einer oder alle dieser gerade benannten Schritte einem selbst allein nicht gelingen oder schon in Ansätzen scheitern. Besonders braucht man sie aber dann, wenn man gar keine Ängste kennt. Das ist der sicherste Hinweis dafür, dass man mit Ängsten ein gewaltiges Problem hat, weil es nämlich so groß ist, dass man es sich noch nicht einmal erlauben kann, Ängsten ins Gesicht zu schauen.


Und in Zeiten von Corona?

Nimmt man obige Überlegungen ernst, dann wäre es für alle elementar, dem eigenen Angststatus zu misstrauen bzw. ihn einer Prüfung zu unterziehen. Weil – wie gesagt – Ängste informieren über die erlernten, nicht über die akuten Gefahren! Jeder – der Entspannte wie der Angespannte – sollte sich also mit der Frage beschäftigen: „Könnte es nicht auch ganz anders sein?“ Wer entspannt ist, droht vielleicht seinen erlernten Gelassenheitszwang auch dann aufrecht zu erhalten, wenn er einfach aus Furcht und Loyalität zu Hause bleiben statt zum Skifahren gehen sollte. Wer angespannt ist, droht vielleicht seine erlernte Ängstlichkeit auch dann aufrechtzuerhalten, wenn es angebracht wäre mutig und zuversichtlich nach Wegen zu suchen, mit der Lage kreativ umzugehen. Beides kann angemessen wie unangemessen sein.

Entspannt Corona-Parties zu feiern, ist vermutlich ein Zeichen von Abspaltung jeglicher Realitätswahrnehmung und ein Leben im eigenen Grandiositätsfilm. Angespannt zu horten und zu hamstern, eigene und fremde Infektion zu fürchten und auf den Weltuntergang zu spekulieren, ist eher ein Zeichen von mangelnder Distanz zu den eigenen Gefühlen und fehlender Selbststeuerung.

Daher prüfe sich, wer solche Zeiten durchlebt. Diese Prüfung wird umso verlässlicher, je mehr man im Gespräch mit anderen ist und je mehr man zulassen kann, kritische Nachfragen anderer nicht einfach abzutun. Jedenfalls scheint mir, dass viele im Moment bestimmte Ängste erlernen müssen, die bislang nicht nötig waren.

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Das kleine Herz und der Stress (oder: Stress einmal anders betrachtet)

Gepostet von Malte am

Gastbeitrag von Ursula Arn

Wie ich es liebe, meinem Menschen in jedem einzelnen Augenblick treu zu dienen. Welch dankbare und verantwortungsvolle Aufgabe. Doch, manchmal treibt sie mich fast zur Verzweiflung. Ich weiss nicht, wieso die Menschen denken, Stress sei, wenn sie viel zu tun haben. Wenn die wüssten, wie oft ich und meine Freunde hier im Körper durchgeschüttelt werden. Echt, wie kommt es, dass die das nicht bemerken? Lass mich dir eine kleine Geschichte erzählen. Darüber, wie ich mich manchmal fühle.

Es ist Morgen. Ich bin voller Tatendrang und schlage schön regelmässig und kräftig. Plötzlich fühle ich mich wie elektrisiert. Ich habe keine Ahnung, was passiert ist. Es scheint sinnvoll zu sein, meine Taktfrequenz zu erhöhen. Also, Turbostufe zwei. Mein Mensch soll ja sofort handeln können. «Ach, es war nur dieser nervige Wecker! Dann kann ich mich ja gleich beruhigen.»

Das wird mir allerdings nicht leicht gemacht. Es ist heute, wie meistens. Ein Gehetze, bis er es endlich aus dem Haus schafft. «Wieso stellt mein Mensch diesen Wecker nicht früher? Denkt der nicht an mich?» Diese Fragen habe ich mir schon oft gestellt. Ich fühle mich angespannt und sehne mich nach meiner Leichtigkeit.

Mein Mensch macht sich auf den Weg zu seiner Arbeit. Im Flur treffen wir auf die junge, hübsche Nachbarin. Er freut sich sehr, sie zu sehen. Ich mache mit ihm einen Freudensprung. Beschwingt gehen wir weiter. Wenn ich könnte, würde ich singen. Das ist für mich immerhin um einiges angenehmer als das vorangehende Gehetze. Einen Teil der Anspannung fühle ich immer noch. Doch jetzt habe ich keine Zeit zum Grübeln. Es geht weiter mit dem Fahrrad. Wie ich das genieße. Da kann ich mich ein wenig austoben. Und das sogar ohne diese lästigen Mitspieler, die mich in die Turbostufen treiben.

Lästige Mitspieler? Das sind diejenigen, die wegen jeder Kleinigkeit in einen riesen Aktionismus fallen. Dann werden meine Freunde und ich mit einem Cocktail aus Hormonen, Botenstoffen und Impulsen zugeschüttet. Zugegeben, diese elektrisierenden Momente und das Adrenalin machen mich manchmal ein wenig high. Der nachfolgende Kater ist ehrlich gesagt nicht gerade prickelnd. Und wenn ich mich krank melde, findet das mein Mensch auch nicht lustig. Das ist eine besonders verzwickte Situation.

«Oh, jetzt bin ich mit meinen Gedanken ganz schön abgeschweift! Bitte etwas mehr Konzentration mein Liebes…»

Innerer Team-Dialog Plötzlich vernehme ich eine leicht säuerliche Stimme aus dem Off. «Wie kommst du denn dazu, uns als lästige Mitspieler zu bezeichnen?» Scheinbar bin ich der Notfall- Einsatztruppe zu nahe getreten. «Ohh, ihr müsst wissen, dass eure Aktionen mich echt stressen. Ich weiss nie, wann ihr mich wieder mit eurem Cocktail übergiesst. Für mich fühlt sich das jeweils an, wie im Schleudergang in der Waschmaschine. Und oft, folgt das nächste Schleuderprogramm, bevor das erste fertig ist. Eure Planung ist manchmal also wirklich kein Knüller! So komme ich überhaupt nicht mehr zu Ruhe. Ich fühle mich schlapp und energielos. Und manchmal frage ich mich, wie lange ich meine Aufgabe noch erfüllen kann.»

Da schaltet sich das Gehirn in die Diskussion ein. «Hast du den Eindruck, es gehe hier nur um dich? Du bist nicht das Einzige, das hier leidet. Ich bin auch andauernd in Alarmbereitschaft. Mal blinkt es hier, dann dort. Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, wie stark dieser ganze Gedankenmüll meine Verarbeitungsstraßen verstopft. Überall benötigt es Umleitungen, damit wir unsere Arbeit einigermaßen erledigen können. Und wenn es ganz schlimm wird, bauen die vorne auch noch Straßenblockaden. In den Momenten verweigern die an der Front das Denken und schlussendlich weiss die Rechte nicht mehr, was die Linke tut. Wie wenn das nicht schon genug wäre, kommen noch die geheimen Mitspieler aus dem Untergrund dazu. Und, ich kann euch sagen: Die sind so was von fies. So gut, wie die getarnt sind, nützt uns die beste Polizei nichts. Wir sind immer zu spät! Wenn mir nur endlich jemand zeigen könnte, wie ich entspannt mit diesen unbewussten Mitspielern aus dem Untergrund umgehen könnte!»

Nachdenklich lausche ich diesem Dialog. «Stimmt, wir sitzen alle im selben Boot. Alle haben wir die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass unser Mensch sofort handeln kann, wenn es brenzlig wird. Wir dürfen ihn nicht im Stich lassen! Unsere Reaktionszeit und unser Spielraum sind eng begrenzt. Wir sollten unbedingt für eine bessere Zusammenarbeit sorgen. Darüber würden sich ganz bestimmt auch die Muskeln, Sehnen und viele andere hier freuen! Hat jemand von euch eine Ahnung, wie das gehen soll?» Die grosse Stille lässt mich erahnen, dass niemand eine wirklich gute Idee hat. Das macht mich traurig und irgendwie hilflos. Ich fühle mich geknickt und schlapp.

Herzhaftes am Arbeitsplatz

Tief in Gedanken versunken habe ich gar nicht bemerkt, dass wir inzwischen am Arbeitsplatz angekommen sind. Ich werde jäh aus meinen Gedanken gerissen. Schon wieder fühle ich mich elektrisiert. «Oh, là-là - der Haussegen hängt heute aber mächtig schief da draussen!» Ich werde direkt in die Turbostufe fünf katapultiert. Ich fühle mich gehetzt, eingeengt und bekomme kaum noch Luft. «Hej, Gehirn, kannst du bitte für Ordnung und Ruhe sorgen?» «Sorry, liebes Herz! Mit mir kannst du im Moment nicht rechnen. Bei mir ist Alarmstufe rot und es herrscht Gedankensalat und Chaos auf den Verbindungsstraßen. Die Angst hat gerade das Zepter übernommen. Echt, ich fürchte, dass das für dich heute ein Marathonlauf wird!» Mir ist ganz mulmig zumute. Das kann ja heiter werden, wenn sogar das Gehirn eine solche Voraussage macht.

Dann versuche ich es mit dem Körper. «Hallo Körper, kannst wenigstens du dich bitte mal entspannen? Ich fühle mich so eingeengt und starr!» «Sorry, liebes Herz! Ich würde am liebsten davon rennen. Daran hindern mich allerdings die Straßenblockaden. Zusammen mit den fiesen Typen aus dem Untergrund haben sie mich an Ketten gelegt. Mir bleibt gerade nichts anderes, als mich mit aller Kraft zu beherrschen! Ich hoffe, du hältst noch eine Weile durch!» Auch der Körper lässt meine Hoffnung auf Entspannung in tausend Stücke zerplatzen. So langsam aber sicher verlässt mich die Zuversicht.

Ich frage mich echt, was ich tun soll. Die beiden anderen Ansprechpartner sind auch auf Tauchstation. Die Intuition sehe ich am Horizont verschwinden und der Energie ist gerade die Puste ausgegangen. Ich verfalle in einen lethargischen Zustand und fühle mich wie auf einer Holperpiste. «Hoffentlich hört das bald auf hier, ich fühle mich wie eine ausgequetschte Zitrone!»

Der Rest des Tages verläuft einigermassen in geordneten Bahnen. Die Turbostufen eins und zwei reichen aus, um alles Weitere zu überstehen. Die Statistik heute Abend wird bestimmt wieder Bände sprechen. Ehrlich gesagt, weiss ich nicht, wieso ich diese Statistik überhaupt noch führe. War die hübsche Nachbarin am Morgen tatsächlich die einzige, die mir heute einen Freudensprung beschert hat? Es ist niederschmetternd diesen Verlauf zu beobachten. Ich habe den Eindruck, dass die ganze Situation immer schwieriger wird. Es gibt Momente, wo ich mich frage, was wohl passieren muss, damit mein Mensch endlich beginnt, für unser Wohl zu sorgen!

Abendstimmung

Endlich sind wir zu Hause angelangt. Ich habe mich ein wenig beruhigen können. Entspannung fühlt sich allerdings anders an. Wenn ich mich bei meinen Freunden im System umschaue, geht es uns allen ähnlich. Der Körper fühlt sich schmerzhaft, verspannt und schlapp zugleich. Die Gedanken tigern umher, wie ein Gefangener in einer Zelle. Die Emotionen melden Frust, der sich ausbreitet. Das Bauchgefühl sucht nach dem Sinn der ganzen Sache. Kein Wunder, dass uns auch die Energie verlassen hat und wir uns alle richtig erledigt fühlen nach diesem Tag. Eigentlich sollten wir für unseren Einsatz Sonderzulagen erhalten. Doch, das hat unser Mensch noch nicht begriffen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob der wirklich weiß, was mit uns tagtäglich abgeht.

Das Abendritual kommt näher. Ich freue mich sehr darauf. Bei Mozarts kleiner Nachtmusik gelingt es mir glücklicherweise fast jeden Abend, mich zu beruhigen. Hoffentlich schieben die Damen und Herren von der Gedankenabteilung heute Abend keine Überstunden. Sonst wird es schwierig, überhaupt an Nachtruhe zu denken. Und echt, ich brauche diese Erholung. Nach diesem Tag heute, mehr denn je. Sonst weiß ich nicht, wie das morgen weitergehen soll. Diese Nacht träume ich bestimmt davon, wie schön es wäre, entspannt zu pochen.

Vision im Traum

Mein Mensch hat sich schlafen gelegt. Wie schön. Das erlaubt auch mir, es gemütlicher anzugehen. Ich falle in einen süssen Traum: Da sind zwei verliebte Herzen, die ihre Türen weit aufgesperrt haben. Sie tanzen freudig und vibrierend im gleichen Takt. Es sieht aus, wie wenn die beiden durch unsichtbare Fäden verbunden wären. Ein wahrlich magischer Moment. Bei diesem Anblick schmelze ich selbst im Traum beinahe dahin.

Plötzlich erscheint hinter den beiden eine große Leuchttafel. Sie zeigt zwei Werte, die ich nicht verstehe. Ganz zart dringt die Stimme des einen Herzens im Traum zu mir durch. Es erklärt dem anderen, was diese Werte bedeuten. Scheinbar senden sowohl das Herz wie das Gehirn elektromagnetische Wellen aus. «Schau hin!» Sagt das Herz. «Unsere Wellen sind 1'000 Mal stärker als die des Gehirns! Ist das nicht wunderbar? Wenn wir es schaffen, unsere Türen weit aufzusperren, können wir bei den Menschen um uns herum so viel Gutes bewirken!»

Ihr gemeinsamer Tanz wird noch intensiver. Gleichzeitig schnellt der eine Wert an der Tafel in die Höhe. Die Herzen unterhalten sich weiter. Leider ist es mir im Traum nicht möglich, alles zu verstehen. Irgendwie sprechen die davon, dass viele Menschen ihre Türe zum Herzen gar nicht öffnen können. Weiter geht es auch darum, dass es diesen Herzen und ihren Menschen schlecht geht. Die würden sich so alleine, getrennt und eingesperrt fühlen.

Was für ein spannender Traum. Ich bin so froh, dass ich meine Türe noch aufsperren kann. Leider gelingt es mir nicht mehr so gut, wie ich das gerne möchte. Plötzlich tönt ein schriller Ton. «Oh, nein! Nicht schon wieder dieser Wecker!» Dieses lärmige Teil holt mich aus meinem Traum. Meine Entspannung ist futsch. Ich habe keine Wahl und sehe mich einmal mehr gezwungen eine Turbostufe hochzufahren.

Hoffentlich wird dieser Tag heute relaxter, als der gestern!

Ursula Arn

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