Rückenschmerzen - nicht zu früh ins MRT

Gepostet von Malte am

Wenn jemand in Deutschland Rückenschmerzen hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er ziemlich bald in der „Röhre“ bzw. im MRT landet. Viele Patienten gehen förmlich mit der Erwartungshaltung zum Arzt, eine Überweisung zum Radiologen zu bekommen. Sie wollen ja schließlich wissen, wo ihre Rückenschmerzen herkommen…

Das MRT (Magnet-Resonanz-Tomografie) steht seit Mitte der 80er Jahre als diagnostisches Mittel zur Verfügung. Die Vorteile gegenüber dem Röntgen sind das Ausbleiben der Strahlenbelastung und die Darstellung verschiedener Gewebearten über die knöchernen Strukturen hinaus. So lassen sich auch Organe, Sehnen, Bänder, Muskeln etc. bis ins kleinste Detail darstellen und beeurteilen.

Doch ist es wirklich immer von Vorteil, einen genauen Befund durch bildgebende Verfahren zu haben? Es gibt Studien, welche genau das Gegenteil behaupten. Die Prognose kann sich demnach für den Patienten nach der bildgebenden Diagnostik sogar verschlechtern. Doch warum das? 

Das Ergebnis der bildgebenden Verfahren ist leider (oder zum Glück?) nur die halbe Wahrheit. Es gibt unzählige Menschen mit absolut pathologischen Befunden, die aber keinerlei Beschwerden haben. In Untersuchungen an gesunden und gut trainierten jungen Männern ohne jegliche Rückenschmerzen fand man bei über 20% Bandscheibenvorfälle im Lendenwirbelsäulenbereich.  Auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, bei denen im MRT absolut keine Auffälligkeiten zu finden sind und die dennoch unerträgliche und chronische Schmerzen haben.

Über 80% aller Rückenschmerzen gelten als „unspezifisch“, das heißt, es lässt sich keine genaue Struktur bzw. Ursache ausmachen, welche für die Entstehung der Beschwerden verantwortlich ist. Viele dieser Beschwerden verschwinden auch nach einiger Zeit wieder. Untersucht man diese Patienten aber im MRT, findet man dennoch zahlreiche Abweichungen von der Norm. Der Befund ist oft lang und für den Betroffenen häufig beängstigend. Die Tendenz vieler Radiologen, die Befunde eher etwas zu dramatisieren, verstärkt diesen Effekt. Durch Aussagen einiger Orthopäden („Ein Wunder, dass Sie mit dieser Wirbelsäule überhaupt noch aufrecht gehen können..“)  wird die Verunsicherung des Betroffenen nochmals verstärkt. Das Vertrauen in den eigenen Rücken und seine Belastbarkeit sinkt und die Patienten nehmen eine Schon- und Vermeidungshaltung an. Dies kann der Beginn eines Teufelskreises sein. Die Muskulatur baut sich ab, was zu Instabilitäten und einer weiteren Zunahme der Schmerzsymptomatik führt. So kann es zu einer Chronifizierung der Beschwerden kommen.

Darüber hinaus steigt das Risiko operiert zu werden. Auch wenn auf dem Bild möglicherweise ein Bandscheibenvorfall zu erkennen ist, muss das noch längst nicht die Ursache für die Beschwerden sein. So kann ein ausstrahlender Schmerz beispielsweise auch vom Ilio-Sacral-Gelenk oder vom Piriformes-Muskel ausgehen. Dennoch landen viele Patienten viel zu früh und leider oft unnötig auf dem OP-Tisch. In vielen Fällen sind die Beschwerden danach jedoch keinesfalls geringer.

Wenn sich ein Rückenschmerzpatient zum Zeitpunkt des MRT bereits in physiotherapeutischer Behandlung befindet oder ein gezieltes Rückentraining macht, ergeben sich aus dem MRT-Befund in den seltensten Fällen Änderungen am therapeutischen Vorgehen. 

Das Programm für Nationale VersorgungsLeitlinien der Bundesärztekammer empfiehlt eine bildgebende Diagnostik frühestens nach vier bis sechs Wochen und nur, wenn die Beschwerden zunehmen und/oder die Einschränkungen im Alltag anhalten.

Viele Ärzte halten sich leider nicht an diese Empfehlungen. So ist Deutschland weltweiter Spitzenreiter im MRT. Die Anzahl der Untersuchungen pro 1000 Einwohner ist fast doppelt so hoch wie beispielsweise in Frankreich. Die Anzahl der Geräte pro eine Million Einwohner ist etwa doppelt so hoch wie im EU-Schnitt. Die Kosten, die daraus für das Gesundheitssystem entstehen, sind enorm (eine MRT-Untersuchung kostet bis zu 700 €). Der Nutzen für den Betroffenen ist leider sehr fraglich.

Tipps im Hinblick auf Rückenschmerzen und bildgebende Verfahren:

- Die meisten Rückenschmerzen verbessern sich nach einigen Tagen bis Wochen von alleine.

- Sollten die Beschwerden anhalten oder sich verschlechtern, vereinbaren Sie einen Arzttermin!

- Suchen Sie sich einen Arzt, der Sie ausreichend befragt und körperlich untersucht.

- auch wenn es zum Standardprozedere vieler Orthopäden gehört: Eine Röntgenaufnahme ist im Rahmen der Erstuntersuchung nicht unbedingt zwingend erforderlich. 

- Überlassen Sie Ihrem Arzt die Entscheidung, ob ein MRT tatsächlich notwendig ist.

- Sollten die Beschwerden bis zum MRT-Termin bereits abgeklungen sein, überlegen Sie sich, ob Sie die Untersuchung tatsächlich in Anspruch nehmen wollen.

- Wenn Sie im MRT waren: Lassen Sie sich nicht vom Befund verunsichern! Die Befunde klingen für den Laien oft schlimmer als sie eigentlich sind. Besprechen Sie den Befund in Ruhe mit dem Arzt Ihres Vertrauens.

- Wenn Ihnen eine OP empfohlen wurde, holen Sie sich vorher unbedingt eine zweite Meinung ein! Am besten von einem Arzt der nicht operiert.

Studien zum Thema:

https://www.jospt.org/doi/10.2519/jospt.2011.3618

https://chiromt.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12998-018-0207-x

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20838269

https://bjsm.bmj.com/content/early/2019/02/13/bjsports-2018-100087.full

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23440131

https://peerj.com/articles/4151/

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/m/pubmed/22047999/?i=2&from=/21642763/related