Vor jeder OP: unbedingt zweite Meinung einholen

Gepostet von Malte am

Deutschland gehört zu den Ländern mit den meisten Operationen weltweit. Ob Wirbelsäulen-OPs, Arthroskopien, Knie- und Hüft-Endoprothesen - täglich kommen tausende Menschen unters Skalpell. Leider wäre eine Operation längst nicht bei allen wirklich notwendig.
Bei einer Vielzahl werden zudem konservative Behandlungsmethoden entweder gar nicht versucht oder zumindest nicht ausgeschöpft. Dabei weiß man eigentlich bereits seit Jahren, dass Operationen gegenüber konservativen Therapien oft keine Vorteile, dafür aber jedes Mal auch Risiken mit sich bringen. 
Auch in meiner Praxis habe ich im Laufe der Jahre schon viele Patienten behandelt, welche in meinen Augen unnötigerweise operiert wurden. Nicht immer mit dem erhofften Erfolg.

Leider befinden sich viele Ärzte in einem Interessenskonflikt. Krankenhäuser sind heutzutage Wirtschaftsunternehmen, welche auf ausreichende Operationszahlen angewiesen sind. 2017 wurde jeder dritte Krankenhauspatient in Deutschland operiert. Auch niedergelassene Ärzte, welche in Belegkliniken operieren, freuen sich natürlich über eine gute Auslastung Ihrer OP-Zeiten.
Deshalb empfehle ich dringend, sich nach jeder OP-Empfehlung immer eine zweite (oder gar dritte) Meinung einzuholen, am besten von einem Nicht-Operateur.

Ganz wichtig ist, dass konservative (also nicht operative) Maßnahmen angewendet bzw. ausgeschöpft wurden. Ich halte es für einen absoluten Kunstfehler ein Knie zu operieren ohne es vorher mit Physiotherapie versucht zu haben. In vielen Fällen können Beschwerden durch konservative Behandlung deutlich gelindert werden. Eine OP sollte also immer an letzter Stelle stehen, nachdem andere Therapiemöglichkeiten erfolglos geblieben sind.

Viele Ärzte sind mittlerweile sehr auf die Bildgebung fixiert. Wenn auf Röntgen- oder MRT-Bildern deutliche „Schäden“ zu erkennen sind, bleibt in ihren Augen oft nur die OP. Dabei darf man nicht vergessen, dass die radiologischen Befunde immer nur die eine Seite der Medaille darstellen. Es gibt Tausende Menschen mit katastrophalen Bildern und zahlreichen resultierenden Diagnosen, die aber keine oder nur geringfügige Beschwerden haben. Auf der anderen Seite gibt es auch immer wieder Patienten, bei denen das MRT unauffällig ist, die aber trotzdem unter heftigen Beschwerden leiden.
Deshalb ist auch vom verfrühten und übermäßigen Einsatz bildgebender Verfahren abzuraten. Dieser kann die Prognose des Patienten sogar verschlechtern und erhöht das Risiko unters Messer zu geraten deutlich.
 

In Deutschland werden jährlich etwa 70.000 Schilddrüsenoperationen durchgeführt. Nur bei etwa 10% der Patienten liegt aber ein bösartiger Befund vor.
Bei den Wirbelsäulen-OPs ist Deutschland laut einer 2013 veröffentlichten OECD-Studie weltweiter Spitzenreiter. Leider ist längst nicht gesagt, dass es dem Patient nach der OP besser geht.
Ein Orthopäde, mit dem ich einige Jahre zusammenarbeitete, sprach gerne von der „Ein-Drittel-Regel“. In einem Drittel der Fälle gehe es dem Patienten nach der Operation besser, bei einem Drittel sei das Befinden unverändert und einem Drittel gehe es anschließend sogar schlechter.
Laut einer von der Techniker Krankenkasse durchgeführten Studie sind 80% aller geplanten Wirbelsäulenoperationen überflüssig. Daten belegen: Bei vier von fünf Patienten, die in der Vergangenheit eine Zweitmeinung zu einer anstehenden Rücken-Operation in einem unserer kooperierenden Schmerzzentren einholten, waren die Eingriffe nicht notwendig. (Quelle: Techniker Krankenkasse).
Trotz dieser Erkenntnisse haben sich die Rückenoperationen von 2007 bis 2017 um 71% erhöht. 

Auch im Bereich der Gelenke erlebe ich auch immer wieder in meinen Augen verfrühte und teilweise unnötige Operationen. Entscheidend sollten die Beschwerden und Einschränkungen des Patienten und nicht die radiologischen Befunde sein! Außerdem sollte einem möglichen operativen Eingriff immer eine physiotherapeutische Behandlung vorrausgegangen sein. Beim Meniskusriss beispielsweise ist Physiotherapie ähnlich erfolgreich wie arthroskopische Eingriffe.
Auch eine Arthroskopie ist ein operativer Eingriff und birgt gewisse Risiken. Von Seiten der Operateure wird diese Tatsache oftmals komplett heruntergespielt („nur einmal reingucken und ein bisschen sauber machen..“). Ich habe aber schon oft Patienten nach Knie-Arthroskopien erlebt, welche noch wochenlang Beschwerden hatten.

Ein weiteres sehr unschönes Beispiel für nicht zwingend erforderliche Operationen ist der Kaiserschnitt. Dieser stellt in Deutschland die zweithäufigste OP bei Frauen. Jedes dritte (!) Kind kommt mittlerweile per Kaiserschnitt zur Welt, leider oft ohne wichtige Indikation. Während der Geburt haben die Eltern auf diese Entscheidung nur begrenzten Einfluss. Zumindest bei einem geplanten Kaiserschnitt sollte man sich die Entscheidung aber nicht zu leicht machen und eine zusätzliche Zweitmeinung einholen.

Tipps um unnötige Operationen zu verhindern:

Folgende Fragen sollte man sich bzw. seinem Arzt stellen:

- Operiert der Arzt, welcher die OP-Empfehlung ausgesprochen hat selbst bzw. würde er selbst (finanziell) von einer OP profitieren?

- Wurden Alternativen angesprochen oder diskutiert?
Die amerikanische Initiative „Choosing wisely" verteilt Kärtchen mit den fünf wichtigsten Fragen, die Patienten ihrem Arzt stellen sollten:
1) Brauche ich diesen Test bzw. Behandlung wirklich?
2) Was sind die Risiken und Nebenwirkungen?
3) Gibt es einfachere, sicherere Optionen/Alternativen?
4) Was passiert, wenn ich nichts tue?
5) Wie viel kostet es und bezahlt meine Versicherung?

- Sprechen Sie Ihren Arzt auf Physiotherapie an! Viele Orthopäden unterschätzen (oder ignorieren) die Wirkung und das Potential.

Holen Sie in jedem Fall eine Zweitmeinung ein! Am besten von einem Arzt, der nicht selbst operiert und keine Interessenskonflikte hat. 
Wenn Sie nicht wissen, welcher Arzt für eine Zweitmeinung in Frage kommt kontaktieren Sie Ihre Krankenkasse. Eine tolle Möglichkeit stellt auch der Service von BetterDoc dar. 

- Vergessen Sie nicht: Nicht das Röntgenbild soll operiert werden, sondern Sie! Das Bild kann noch so schlecht aussehen, wenn Sie keine Beschwerden haben ist auch keine OP indiziert (bezogen auf die Gelenke.)

- Lassen Sie sich nicht vorschnell zu einer Operation verleiten! Einige Beschwerden können im Laufe der Zeit auch so rückläufig sein. Die Beschwerden sollten also bereits über einen längeren Zeitraum bestehen und sich durch nichts positiv beeinflussen lassen.

Nicht der Arzt entscheidet, ob Sie operiert werden, sondern Sie! Übernehmen Sie selbst Verantwortung für Ihre Gesundheit!


Wenn es doch auf eine Operation hinausläuft: 

- Bleiben Sie (wenn möglich) bis zuletzt aktiv! Je besser der körperliche Zustand vor der OP, desto schneller kommen Sie danach wieder auf die Beine.

- Informieren Sie sich über gute Operateure für Ihren Problembereich.  Haben Sie keine Angst den eigenen Arzt zu enttäuschen.

- Kümmern Sie sich rechtzeitig um Termine zur Nachbehandlung (Reha, Physiotherapie). 

- Lassen Sie sich gut über die geplante OP und die anschließende Nachbehandlung aufklären. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass Patienten nicht wirklich wissen was nach der Operation auf sie zukommt.

- Kümmern Sie sich nach der OP unbedingt um die Narbe! Eine unelastische Narbe kann zu Problemen führen. Mit der Narbenbehandlung kann etwa 14 Tage nach der OP vorsichtig begonnen werden. Hier finden Sie Tipps zum Umgang mit Narben​.